Friday, December 30, 2011

prayer

Das Tugend-ersprießliche Unglück

Der blaue Himmel gibt nicht fruchtbar-sanfften
Regen.
Es treuffet keinen Thau der strahlende Mittag.
Der schöne Demant auch zu nehren nicht vermag.
man muß / will man zum Port / das Wasser ja
bewegen.
Die Traid-bekleidten Berg / nit Gold und Silber
hegen.
So kan die Tugend auch nit blühen sonder Plag.
in gutem Glück sie grob ohn’ allen Glanz da lag /
in Müh und Arbeit wolt der Höchst den Segen legen.
im sauren Meer / und nicht im süssen wachs
Palast /
die theuren Perlein seyn. Also / in vollen Freuden
wird keine Himmels Zier / kein Tugend / nicht
gefasst:
Ihr Balsam-Geist riecht nur im Schmerz-geritzten
Leiden.
Die Sonn müst / solt ein Land sie stets bescheinen /
stehn.
wann keine Nohtnacht wär / würd kein Lust-Sonn
aufgehn.

Catharina Regina von Greiffenberg (1633-1694)

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